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Rauschkontrolle – Motorpsycho im Postbahnhof

Es ist schon ernüchternd, wie viel Kontrolle der Rausch braucht und wie eng letztlich die Grenzen sind, in denen Grenzenlosigkeit zu spüren ist. Der Körper ist ein filigran austariertes Ganzes, das abhängig von Flüssigkeitsgehalt, Zuckerpegel und Nahrungsmittelzufuhr die von mir präferierte Droge Alkohol auch bei mengenmässig absolut gleichwertiger Zuführung erstaunlich vielseitig interpretieren kann.

Der Idealzustand tritt darum nur äusserst selten ein. Wenn er aber, wie an diesem Abend, erreicht wird, dann zusammen mit einer deutlichen Volumenvergrößerung des Kopfes, der mit seinem virtuellen Auftrieb dem ganzen Körper etwas schwebendes geben kann. Dieser leichte Freiflug geht einher mit einer aufgeladenen Empfindsamkeit des Gehörs, das in meinem Fall komplexe Schlagwerkrhythmen und ausgiebiges Gitarrengegniedel am meisten goutiert. Will sagen: eine solche Reizzuführung unterstützt den chemischen Zustand aufs allerfeinste und schießt den frei fliessenden Bewustseinsstrom in eine nebelleichte Dimension, der weder schlecht ausgepegelte Musikanlagen noch hospitalistische Tanzbewegungen der Umstehenden etwas anhaben können.

Dieser Gefahr habe ich mich gestern bei einem Clubauftritt der unter dem bezeichnenden Namen „Motorpsycho“ angekündigten Psychedelic-Stoner-Rock-Band aber schon durch die Platzwahl direkt vor der Bühne entzogen. Der Zustand chemisch aufgeputschter Euphorie war also weniger gefährdet als sonst und hielt darum angenehm lang an. Obwohl der Monitor-Sound, der so nah vor der Bühne den Höreindruck massgeblich prägt, seltsam dumpf, geradezu ein wenig versumpft klang, haben die langhaarigen Bartträger auf der Bühne das mit ihrer unmittelbar zu erlebenden Rocker-Performance mehr als wett gemacht. Auch in Norwegen gehören offensichtlich brustlanges Haupthaar und bis zur Zwirbelligkeit herabhängende Bartmassen zu einem vorzeigbaren Rocker-Outfit. Die natürlich ganz in Schwarz gekleideten Herren unterschieden sich darum im wesentlichen nur durch ihr Schuhwerk, eine Tatsache, die zu bemerken mir meine hervorragende Position erlaubte. Von links nach rechts traten sie bei gefühlten 35 Grad Lufttemperatur in schwarzen Wildlederboots, schwarz-weissen Segeltuchschuhen und barfuss auf. Ein modisches Detail, das Angesichts einer ungeheuren Vielzahl an jeweils mit den Füssen zu bedienenden Pedalen, Knöpfen und Schaltern zwar bemerkenswert war, für die Musik und den weiteren Verlauf des Abends aber völlig belanglos bleiben sollte.

Nach einem nach Crosby, Stills & Nash klingenden Intro, in dem ausschließlich akustische Zupfinstrumente zum Einsatz kamen, begann mit dem Griff nach der zwölf- und sechsseitigen Doppelgitarre das Psycho-Feuerwerk. Getrieben von einem nicht sehr weit abdriftenden, aber für einen spannungsreichen Hintergrund ausreichend Synkopen schlagenden Schlagzeug entwickelten sich auf dem von zwei E-Gitarren und dem tief eingestellten Bass bereitgestellten Klangteppich herrlich ausladende Gitarrenläufe. Wie gemacht für einen leicht abgehobenen Kopf, der die für Stoner-Rock übliche Vor- und Zurückbewegung in Zeitlupe absolvierte. Mit dem stetigen Wippen konnte schon nach kurzer Zeit ein meditativer Zustand erreicht werden, der dem Körper viele Freiheiten ließ für die eigene Interpretationen des von einem erstaunlichen Harmoniebedürfnis geprägten musikalischen Geschehens.

Ein im letzten Drittel des Konzertes vorgenommener Stellungswechsel hat dann nicht nur die Soundqualität verbessert, sondern auch einen luftigeren Freiraum für den immer euphorischer zuckenden Körper gefunden. Dazu wurde die nun langsam nachlassende chemische Wirkung durch die suggestive Kraft immer länger werdender Stücke ausgeglichen, die sich in gefühlten 20-Minuten andauernden Serpentinen zu kleinen Gipfeln körperlicher Rockmusik-Darstellungen aufschraubten. Bemerkenswert ist dann noch, das die Zugaben kurz vor Mitternacht begannen und nach drei heftig herbeigelärmten Anhängen weit nach Mitternacht endeten. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit für ernsthafte Musikartisten, die aber neuerdings von ebensolchen „Darstellern“ ganz dreist auf sechzigminütige Unterdosierungen beschränkt werden – so geschehen erst vor wenigen Tagen am selben Ort bei einer in ähnlichen musikalischen Gefilden unterwegs seienden, aber ungleich berühmteren Band wie den „Black Keys“. Da kann man die ernsthaft ihrer Berufung nachgehenden Musikarbeiter also nur loben.

Beendet wurde der Abend dann durch eine ganze Reihe von launigen Gesprächen mit dem beseelt aus dem Postbahnhof schlendernden Publikum, das Angesichts des eben Erlebten und der herrlich milden Temperaturen wenig Eile hatte in den neuen Tag aufzubrechen. Sie wurden von mir mit einem kleinen Hinweis auf die bevorstehende Zappanale und der Möglichkeit, hier und jetzt einen diesbezüglichen Flyer zu ergattern, aufgehalten. Ignorant vorbeilaufende Besucher bekamen dann wechselseitig die Information, das Motorpsycho dort im letzten Jahr auch aufgetreten sind bzw. das es sich dabei um ein sehr feines, kleines Festival an der Ostsee handelt. Diese kleinen Informationsbrocken lockten dann doch einige der Musikfreunde aus der Reserve. Es gab aber auch handfeste Ablehnung, die im Falle eines jungen Mannes, der doch tatsächlich mit einem Zappa T-Shirt bekleidet war, nicht akzeptiert wurde. Ein älteres Pärchen mit wallendem grauen Haar kommunizierte ohne sich umzudrehen und rief aus der Ferne dann doch tatsächlich „Zappa ist uns zu alt“. Na sag mal, wie krass ist das denn? Zappa ist und bleibt 53, älter kann er ja nun leider nicht werden. Auch die Entschuldigung „Ich bin betrunken…“ konnte leider mit dem Hinweis, das man auf der Zappanale auch trinken könne, nicht egalisiert werden.

Zwei ernsthafte Interessenten quälten sich dann noch viele Minuten lang mit der seit Jahren im Freundeskreis bedauerten Situation, das sich „nie ein Bus für die Anreise fände.“ Komplex daran war, das hier in lobenswerter Selbsterkenntnis zwar die Ausrede erkannt, aber das Problem trotzdem nicht gelöst werden konnte. Mit dem Hinweis auf Baudlaire und dem Zitat „Wenn man aufschiebt, was man zu tun hat, läuft man Gefahr, es nie tun zu können. Wer sich nicht sofort bekehrt, riskiert die Verdammnis.„ wurde der Abend dann souverän intellektuell zu Ende gebracht.

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Das Foto zeigt die Herren von Motorpsycho übrigens mit schwärzeren Haaren und kürzeren Bärten vor einigen Jahren in Herzberg. 

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